Zeit und Abgeschiedenheit - die wesentlichen Bausteine für grenzenlose Artenvielfalt

Durch die Abwesenheit der Menschen können Lebewesen ihr volle Lebensreife erreichen. Bäume dürfen groß und alt (bis zu 1000 Jahre alt) werden, Borkenkäfer werden nicht bekämpft und Rothwild nicht gejagt.

Dieses "Sichselbstüberlassen" ist die Basis für entscheidende evolutionäre Prozesse. Evolution, die Veränderung auf Zeit, kann vom Menschen unbehindert ablaufen. Arten bekommen Raum und Zeit sich auf verändernde Umweltparameter anzupassen und haben somit eine höhere Überlebenschance.


Pflanzen, Pilze und Tiere eines Wildnisgebietes leben in einer Welt, die von uns Menschen nahezu unbeeinflusst ist.

Sie genießen strengen Schutz und können dadurch ohne externe Störquellen wie Pestiziden, Straßen oder Lärm ihrem Leben nachgehen.


Unter diesen Voraussetzungen hat sich eine arteneiche und resiliente Welt voller Pilze, Pflanzen und Tiere entwickelt.

Gerade im Urwald Rothwald finden sich viele totholzliebende Arten, die in anderen wirtschaftlich genutzten Wäldern bereits ausgerottet wurden. Somit dient der Rothwald als Refugium mittlerweile selten gewordener Lebensformen.

Aber auch die Lebensräume außerhalb des Urwaldes, wie beispielsweise der unberührte Lassingbach birgen vielfältige Lebensgemeinschaften.

Neophyten - Neozoen

Ein Wildnisgebiet der Kategorie I nach IUCN verfolgt das Ziel ein möglichst natürliches Artengefüge im Schutzgebiet zu erhalten bzw. wieder zu etablieren.

Im Vergleich zu manch anderen österreichischen Naturschutzgebiet oder Nationalpark ist das Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal in der glücklichen Lage mit wenigen Neophyten und Neozoen, wie man diese gebietsfremden Zuwanderer bezeichnet, konfrontiert zu sein.


Aber vollständig blieb auch das Wildnisgebiet nicht von diesen Zuwanderern verschont. So nennt beispielsweise der Mink oder Nordamerikanische Nerz das Wildnisggebiet Dürrenstein-Lassingtal sein Zuhause.

Die Kanadische Goldrute konnte bereits durch mechanische Bekämpfung in den beiden ersten Jahre entfernt werden. Andere Neubürger sind hartnäckiger, wie etwa der Japanknöterich, der seit vielen Jahren unsere Aufmerksamkeit beansprucht, wenn auch nur auf winziger Fläche.

Tiere

Welche Tiere konnten sich bis jetzt im Wildnisgebiet etablieren?

Nahezu das gesamte nordalpine Artenspektrum ist vertreten. Neben typischen Arten wie Rothirsch, Gemse und Schneehase können auch Wildschweine beobachtet werden. Fallweise zieht auch ein Luchs durch. Charakterarten sind weiters der Bergmolch, der Alpensalamander, die Kreuzotter, der Steinadler und der seltene Weißrückenspecht.

Auch alle in Österreich vorkommenden Raufußhuhnarten, das Auer-, das Birk,- das Hasel– und das Alpenschneehuhn, kommen vor. Aus der überaus reichen Totholzfauna sei hier die nach FFH-Richtlinie (Anhang II) „prioritäre“ Art Alpenbock besonders hervorgehoben.


DER HABICHTSKAUZ

Der Habichtskauz ist eine große Waldeule, die dem Waldkauz ähnelt, aber kontrastreicher gefärbt ist und im Gesamten schwerer und größer wird.


Ein paar spezielle Tiere möchten wir nun genauer unter die Lupe nehmen...


Lebensraumverlust und Verfolgung durch den Menschen haben den Habichtskauzbestand stark reduziert. In Österreich galten die edlen Vögel sogar als ausgestorben. Das Fehlen der Habichtskäuze im Gebiet durchtrennte das Verbreitungsgebiet so sehr, dass sich angrenzende Populationen nicht mehr genetisch austauschen konnten.

Um diese gravierende Lücke wieder zu schließen, wurde 2008 ein Wiederansiedelungsprojekt ins Leben gerufen. Der Habichtskauz ist nach dem Uhu die zweitgrößte Eulenart in Österreich. Als typische Waldeule bevorzugt er buchenreiche Wälder, wo er meist in Baumhöhlen brütet. Als Freilassungsorte wurden somit die naturnahen Wälder des Wildnisgebietes Dürrenstein-Lassingtals und der Biosphärenpark Wiener Wald genutzt.


Doch das Freilassen allein reicht nicht aus, um eine Tierart wieder zu etablieren! Den österreichischen Wäldern fehlt es großteils an großen, alten Bäumen, die Brutmöglichkeiten für die Käuze bieten.

Aus diesem Grund wurden in regelmäßigen Abständen Nistkästen montiert, die von den Vögeln sehr intensiv genutzt wurden – nicht nur von den Habichtskäuzen. Auch viele weitere Arten profitieren von den künstlich angebrachten Strukturen. Zeitgleich wurden die Waldeigentümer auf die enorme Wichtigkeit von großen, alten Bäumen und Totholz im Wald aufmerksam gemacht. Durch ihre Mithilfe sollen zukünftig mehr natürliche Nistmöglichkeiten für die Habichtskäuze und viele weitere Tiere in unseren Wäldern zu finden sein.  


Eulen und Spechte profitieren besonders von den alten Bäumen im Wildnisgebietes, da sie das tote Holz zum Wohnhöhlenbau oder auch Insektenlarven-Buffet nutzen.

Folgende Eulen und Spechte finden im Wildnisgebiet DSLT ein Zuhause: Uhu, Habichtskauz, Waldkauz, Rauhfußkauz, Sperlingskauz, Schwarzspecht, Grauspecht, Buntspecht, Weißrückenspecht und Dreizehenspecht.


... aber auch Sechsbeiner wie die Ameise finden im Wildnisgebiet Platz!

Pflanzen

Die Wälder des Gebietes entsprechen der typischen Vegetation der Gebirge der nördlichen Kalkalpen. Den größten Teil nehmen Buchen-Tannen-Fichtenwälder ein. Die hohe Standortvielfalt des Gebietes bewirkt eine Aufgliederung dieser Wälder in dicht geschlossene, krautreiche und bodenfrische Bestände sowie in lichte, grasreiche und bodentrockene Hangwälder.

Auf sehr luftfeuchten und steilen Hängen stocken Hang- und Schluchtwälder, deren Baumschicht von zahlreichen Edellaubhölzern, wie Bergahorn, Esche und Bergulme bestimmt ist. Natürliche Fichtenwälder sind im Gebiet nur sehr kleinflächig, z.B. auf Bergsturzmaterial und in einem schmalen Gürtel an der obersten Waldgrenze auf felsigen Standorten ausgebildet.

Aufgrund des schneereichen und feuchten Klimas reichen im Gebiet auch oft die Buchenwälder bis an die Waldgrenze.


In ihrem Unterwuchs befinden sich hochwüchsige Kräuter, wie Alpendost, Eisenhut, Alpenampfer und Berg-Greiskraut. Über dem geschlossenen Wald setzen die Latschen in der so genannten Krummholzzone die Gehölzvegetation fort, welche sich im Bereich des Dürrensteingipfels in Felsfluren und alpine Rasen auflöst. Charakteristische Pflanzenarten dieser Zone sind die Silberwurz, die Steinraute, der Alpenquendel oder Petergstamm.

Innerhalb des Waldgürtels sind Felswände und Schuttkegel von Natur aus waldfrei. Größere Freiflächen wurden jedoch vom Menschen für die Almwirtschaft gerodet. Diese Almen und Bergmähder bereichern den Naturraum und sollen auch weiterhin erhalten werden.

Pilze

Pilze lieben totes Holz.

Das in einem Naturwald vorhandene Totholz, das in Wirtschaftswäldern weitgehend entfernt wird, ist die Grundlage für das Auftreten einer Vielzahl von Pilzen im Wildnisgebiet.

Pilze wirken als Zersetzer von totem organischem Material (Destruenten). Sie sind für ihren Stoffwechsel auf die von anderen Lebewesen gebildeten organischen Stoffe angewiesen (Heterotrophie). So sind es fast ausschließlich Pilze, die Lignin, komplexe Verbindungen in verholzten Zellwänden von Pflanzen, aufspalten und verwerten können. Auch im Abbau von Zellulose, Hemizellulose und Keratin sind sie die wichtigsten Verwerter und Humusbildner.


Lange Zeit dachte man, Pilze seien aufgrund ihrer Sesshaftigkeit den Pflanzen zuzuordnen.

Mittlerweile haben phylogenetische, biochemische und anatomische Untersuchungen bewiesen, dass Pilze neben Tieren und Pflanzen ein eigenständiges eukaryotisches Reich darstellen und entwicklungsbiologisch sogar näher an den Tieren als den Pflanzen stehen.

Bisher wurden im Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal mehr als 600 Großpilzarten nachgewiesen.

Darunter sind auch Arten, die in Österreich ausschließlich in diesem Gebiet vorkommen und hier erstmals beschrieben wurden.


Bei einem Waldspaziergang fallen uns die oberirdischen Fruchtkörper der Pilze ins Auge. Der erheblich größere Teil der Pilze liegt aber unterirdisch: vom Fruchtkörper ausgehend ziehen sehr lange Pilzhyphengeflechte in den Boden. Sie nehmen gelöste Nährstoffe aus der Umgebung auf (Saprotrophie).

Oftmals gehen Pilze Symbiosen mit Pflanzen ein. Hyphen treten in Kontakt mit Pflanzenwurzeln, hier findet ein Stoffaustausch statt (Mykorrhizapilze).