Der praktische Wert
Wildnis hat auch einen praktischen Wert, nur wird dieser selten erkannt und noch weniger gewürdigt. Es sind dies die einfachsten Voraussetzungen für unsere Existenz, und diese werden als selbstverständlich, kostenlos, immerwährend und unabänderlich empfunden. Das ist ein schwerwiegender Irrtum und wie wir bereits feststellen müssen kann sich unsere Umwelt durch unser Zutun so verändern, dass es "sehr ungemütlich" werden kann.
Heute verwendet man den Begriff "Ökosystemare Dienstleistungen", ein technokratischer Ausdruck, aber vielleicht noch am ehesten auch von jenen verstehbar, die sonst nur in wirtschaftlich-materiellen Denkschemata zuhause sind.
Zu diesen „Dienstleistungen“ gehören so elementare Dinge wie Regen, der kostenfrei und im brauchbaren Maßen vom Himmel fällt, die Luft zum Atmen, ihre chemische Zusammensetzung, die über lange Zeiträume stabil war und unsere Evolution ermöglich hat, ein "ruhiges" Klima, dass komplexes Leben ermöglicht und Grundvoraussetzungen schafft wie fruchtbaren Boden und sauberes Trinkwasser.
Darüber hinaus bietet uns die unberührte Natur die Möglichkeit zu lernen, wie wir in den von uns bewirtschafteten Gebieten wirklich allumfassend nachhaltig arbeiten und nutzen könnten. Besonders in der der Forstwirtschaft gibt es hier ein großes Potential - leider fehlen uns in Europa für viele Waldgesellschaften schon die Referenzflächen, weil wir zu viele Urwälder zerstört haben.
Wildnis ist ein "Gen-Reservat"
Viele Organismen die in der Wildnis überlebt haben oder leben können vermögen in unserer Agrar- und Kulturlandschaft nicht zu überleben - viele davon sind uns noch gar nicht bekannt, geschweige denn ihre Fähigkeiten und Stoffe, die ihnen eigen sind. Derzeit sterben diese Lebewesen schneller aus als wir sie erforschen und begreifen können! Ein immenser und unwiederbringlicher Verlust.
Wildnis als Evolutionsraum
Die freie, von uns Menschen weitestgehend unbeeinflusste Evolution kann nur in großen, möglichst ungestörten Gebieten ablaufen. Wir nehmen bewusst und unbewusst starken Einfluss auf diese Abläufe, wir versuchen Organismen für unsere Zwecke zu „optimieren“. Das mag zwar den Profit kurzfristig erhöhen, die Chancen für ein langfristiges Überleben auf diesem Planeten werden dadurch aber nicht verbessert oder garantiert. Nur die Vielfalt der natürlichen Evolution ist optimal für die Herausforderungen der Zukunft, die man nicht kennen kann, gewappnet.
Wildnis als „Therapie Raum“„
Was vor kurzem noch als esoterischer Unsinn verlacht wurde haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt. Wir kommunizieren, oder besser, unser Immunsystem kommuniziert mit dem Wald. Schon ein Spaziergang von wenigen Stunden erhöht die Anzahl der Immunzellen, senkt den Blutzuckerspiegel und auch Stresshormone - alles eindeutig medizinisch messbar. Und der Effekt hält tagelang an! Dieser Biophilia-Effekt sollte mehr geschätzt und höher bewertet werden. Je naturnäher ein Wald (und nicht etwa eine Holzplantage) ist, umso besser. Es wurden bisher etwa 8000 Terpene und mehr als 20.000 verschiedene Terpenoide gefunden, mit deren Hilfe sich Pflanzen untereinander (innerspezifisch und interspezifisch) verständigen und auch warnen. Und auch mit anderen Lebensformen findet Kommunikation statt, so auch mit unserem Immunsystem.
Der ideelle Wert
Der Mensch besteht und definiert sich nicht nur aus Materie - wir haben Gefühle, Träume, Hoffnungen und Wünsche, und tiefe Erinnerungen an eine Vergangenheit, als wir noch Teil der Wildnis waren. Das bringt der Autor Florian Scheidler wunderbar zum Ausdruck wenn er postuliert:
"Unsere innerste und tiefste Beziehung zu dieser Welt ist nicht ökonomischer Art".
Wildnis als Erlebnisraum
Als Erlebnis ist hier nicht die Teilnahme an einem "Outdoor-Adventure-Action Event" wie es derer viele gibt gemeint, sondern das Erleben und bewusste Wahrnehmen von sich selbst in einer Umgebung, die so wenig ablenkt von den wesentlichen Dingen im Dasein. Die unberührte Natur ist ein guter Ort dafür, allerdings ist bei uns in Mitteleuropa der zur Verfügung stehende Raum bei unserer Bevölkerungsdichte so begrenzt, dass es schwer möglich ist, allen dieses Erleben uneingeschränkt anbieten zu können.
Wildnis als Besinnungsraum
Wer das Glück und die Zeit hat, in wilden, unberührten Gebieten öfter oder längere Zeit unterwegs oder anwesend zu sein bekommt einen anderen Zugang zu sich selbst und dem Wert des Leben an sich. Die Zeit wird fühlbar relativ, wer neben hunderte Jahre alten Bäumen steht und sich bewusst macht, wann diese gekeimt sind und was alles seither an ihnen vorübergezogen ist, wie wenig davon noch gegenwärtig ist außer der Baum selbst, der bekommt auch eine andere Sicht auf sein eigenes Dasein. Viele Konflikte und Querelen versinken angesichts dieser Zeiträume in die Bedeutungslosigkeit und es wäre gut, wenn wir hin und wieder die Gelegenheit hätten, uns auf diese Weise in der Wildnis zu erden und zu besinnen und zu einem „menschlichem Maß“ zurück zu finden.
Der intrinsische Wert
Leben hat einen Wert aus sich selbst heraus, auch ohne unsere Betrachtung und Bewertung! Das Universum wurde nicht, wie manche Philosophen meinen, so „gemacht“ dass wir es erkennen und genießen können - das Leben genügt sich auch selbst, auch wenn wir Menschen gar nicht da wären. Wir sind ein Teil dieser Entwicklung, mag sein ein wichtiger Teil, aber auch ohne uns wäre das Leben nicht wert- und sinnlos. Dieses Universum strebt durch die Gesetzmäßigkeit der Entropie zu einem Zustand von Chaos und absoluter Gleichförmigkeit – nur das Leben, wenn auch nur vorübergehend und mit hohem Aufwand erwirkt, arbeitet gegen dieses Grundprinzip. (Am Ende nimmt die Entropie immer zu!) Nicht zum Chaos und Eintönigkeit und Gleichförmigkeit strebt das Leben, sondern zur Komplexität und Vielfalt! Diese Eigenschaft des Lebens, aus einfachen Bauteilen immer komplexere Organismen zu bauen ist eine großartige Fähigkeit die den Eigenwert des Lebens - mit oder ohne unsere Betrachtung und unser Erkennen - so wertvoll macht!